Tag 110 — Eisbrecher

Ein Freiwilligendienst mit kulturweit besteht nicht nur aus Arbeit. Unsere Freiwilligen erleben auch in ihrer Freizeit eine Menge Abenteuer. So wie Sonja Heyen im kroatischen Rijeka. Während eines Wochenendtrips ins Risnjak-Gebirge gestalten einsetzender Nebel und Spuren im Schnee die Wanderung aufregender als erwartet.

Sonja vor einem Schild am Wasser in Kroatien

Wo auf der Welt kann man an einem Tag Skifahren und ins Meer hüpfen? In Rijeka natürlich! Denn keine Stunde Busfahrt von der Stadt ins Landesinnere entfernt, liegt das Risnjak-Gebirge – und dort zieht es mich dieses Wochenende hin. Dichte Nebelschleier hängen über den Bergen und bald schon kollabiert meine Internetverbindung. Dafür wird die Landschaft vor dem Fenster immer weißer: Schnee!

Knapp ein Stunde später erreichen wir Delnice, wo ich umsteigen muss. Der Busfahrer zeigt mir den Kleinbus, mit dem es für mich weitergeht und stellt mir auch gleich dessen Fahrer vor. „Kao taksi“ (Wie ein Taxi) lacht meine einzige Mitfahrerin und weiter geht es. Nach fünfzehn Minuten werde ich in Crni Lug im „Centar“ herausgelassen. Ein kurzer Blick auf mein Navi und dann trotte ich die Straße entlang. Gehwege gibt es in Kroatien nur in Großstädten – und selbst wenn es hier einen gäbe, unter dem Schnee würde ich ihn gar nicht sehen. Brauche ich aber auch nicht, denn schon nach fünf Minuten stehe ich vor unserem Domizil für das Wochenende: Einer Berghütte wie aus dem Bilderbuch!

Noch bevor ich klingeln kann, begrüßt mich „Kandza“ (Klaue), ein Rauhaardackel-Wollknäuel mit treuem Hundeblick. Ihr folgen Danijel, der Inhaber, und seine gesamte Familie. Mit viel „Hallo“ und „Willkommen“ werde ich ins Wohnzimmer gebeten, auf eine Bank gesetzt und mit Tee, Keksen und hochprozentigem, selbstgebrannten Heidelbeerschnaps versorgt. Warum ich denn nicht angerufen habe? Sie hätten mich doch abgeholt, werde ich gefragt, und ob ich irgendetwas brauche. Tatsächlich brauche ich etwas, denn Yvonne, meine Wanderpartnerin, kommt erst später in Delnice an und da fährt kein Bus mehr. Aber auch das ist kein Problem, denn Danijel will fahren.

Die Zeit, bis es soweit ist, verbringe ich damit das urige Wohnzimmer zu bestaunen. Links an der Wand hängen ein Luchs („Ris“) nach dem der Nationalpark benannt ist, ein Rotwild und ein Bär. Sogar letzterer ist selbstgeschossen, wie mir Danijel erzählt. Daneben etwa 50 hochglanzpolierte Pokale – alles Trophäen seines Rallye fahrenden Sohnes. Auch während der Fahrt nach Delnice und zurück geht uns der Gesprächsstoff nicht aus. Und als Yvonne und ich abends in unser Bett fallen, sind wir fest davon überzeugt, den perfekten Ausgangspunkt für unser Wochenende gefunden zu haben und schlafen zufrieden ein

Wie bestellt, strahlt am nächsten Morgen der Himmel – genau wie unsere Gesichter beim Anblick des Frühstück-Buffets. Besonders angetan hat es mir der selbstgemachte Brennnesselsaft. Dick eingepackt und mit heißem Tee versorgt, machen wir uns auf den Weg: Erst runter ins Tal zum Eingang des Nationalparks, dann hoch Richtung Gipfel. Der Schnee liegt rief und wird nur von ein paar Fußstapfen durchbrochen. Langsam sind wir. Und obwohl wir nur eine kurze Pause einlegen, wird es immer später und der Weg nicht viel kürzer. Ab und zu hören wir Stimmen vor uns und immer wieder durchbricht ein „Huch!“ die Stille, wenn eine von uns mit dem Fuß abrutscht und wild mit den Armen rudernd das Gleichgewicht wiederherzustellen versucht.

Nach etwa drei Stunden holen wir unsere „Vorgänger“ schließlich ein. Wie sie überlegen wir, langsam umzukehren und laufen dann aber doch weiter – den Blick fest auf den Gipfel des Risnjak vor uns geheftet. Doch keine 15 Minuten später gibt es das erste Mal Gegenverkehr und mit ihm das Eingeständnis: Heute wird das nichts mehr. Schade, aber im Dunkeln auf einem schneebedeckten Berg von 1.528 Metern festzusitzen, ist nicht so verlockend. Und als wollte der Risnjak uns die Entscheidung erleichtern, zieht dichter Nebel auf und hüllt den Wald und die verpasste, sicher atemberaubende Aussicht in eine undurchdringbare Wand aus Grau. Mit müden Füßen geht es also zurück zur Hütte. Und der Name des Ortes („Crni Lug“ – schwarzer Hain) wird Wirklichkeit. Um doch noch etwas Neues zu sehen, wenden wir uns auf dem breiten Pfad nach rechts und stapfen durch den dort liegenden Tiefschnee. Dabei entdecken wir auch Tierspuren, die uns ein wenig schneller laufen lassen (auch wenn es, wie Danijel uns später erklärt, eher Luchsspuren als Bärenspuren sind). Unten angekommen ist die Landschaft in tiefes Blau getaucht.

Mit dem letzten Sonnenlicht erreichen wir zuerst die Straße und im Schein der Straßenlaternen schließlich auch die Hütte. Auf nassen Socken tapsen wir auf unser Zimmer. Nach einer heißen Dusche, mit Jogginghose und einem reichhaltigen Abendessen im Bauch fühlen wir uns wieder wie Menschen. Gut so, denn morgen soll es richtig schneien!



Sonja Heyen verbrachte ab Herbst 2020 sechs Monate für den Pädagogischen Austauschdienst und die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen am Gymnasium Andrije Mohorovicica in Rijeka, einer Hafenstadt in Kroatien. Über ihre Zeit als kulturweit-Freiwillige hat sie regelmäßig gebloggt.