2009

PAD/ZfA
Bosnien und Herzegowina

Mostar – Perle des Balkans

Moritz Lüttich verbrachte zwölf Monate mit PAD/ZfA in Mostar.

Das wahrscheinlich interessanteste europäische Land

Wenn ich an meinem Schreibtisch sitze und meinen Kopf leicht nach rechts neige, so erblicke ich ein von mir gemachtes Foto während meines Freiwilligenjahres in Bosnien und Herzegowina. Es ist kein sehr schönes Foto, die Menschen lächeln nicht, schauen stumm geradeaus. Nun, das Foto wurde auf der Veranstaltung zur Vergabe des Deutschen Sprachdiploms (DSD) gemacht, womit wir schon beim Thema wären. Das Jahr in Bosnien und Herzegowina war weder lustig noch langweilig, weder fröhlich noch traurig, weder dramatisch noch ereignislos, es war facettenreich.

Bosnien und Herzegowina ist ein Staat für sich. Wer in einem Land leben will, in dem alles in geordneten Bahnen verläuft, dem empfehle ich einen Aufenthalt in diesem aufregenden Land nicht. Wer als Freiwillige*r aber in einem Staat leben möchte, der eigentlich kein Staat ist, indem nichts so läuft, wie man es gerne hätte und trotzdem weiterlebt, das voller Widersprüche und Konflikte steckt, in dem Gastfreundschaft und Höflichkeit keine leeren Worte sind, den lade ich herzlich dazu ein, das wahrscheinlich interessanteste europäische Land zu besuchen. Glaubt mir, ihr werdet es nicht bereuen!

Parallelen aufdecken

Ich verbrachte die meiste Zeit meines Auslandsjahres an dem Gymnasium Fra Grge Martica, welches sich im kroatisch-dominierten Westteil der Stadt Mostar befindet. Die Schule ist nach einem kroatischen Franziskaner Mönch und Schriftsteller benannt, der im 19. Jahrhundert in der Herzegowina lebte. Die Schule wird von ca. 540 Schüler*innen besucht, die von 41 Lehrer*innen in den verschiedensten Fächern unterrichtet werden.

Ich war für die Vermittlung der deutschen Kultur verantwortlich, d.h. ich hielt Vorträge über das Weihnachtsfest bzw. über die Weihnachtsmärkte, schaute mir zusammen mit den Klassen deutsche Filme an, half bei den Hausaufgaben, studierte mit den DSD-Schüler*innen ihre Vorträge für die mündliche Prüfung ein (in der Nacht vor den Prüfungen habe ich kein Auge zugedrückt) und versuchte Parallelen zwischen der deutschen und der bosnisch/kroatischen Kultur aufzudecken. Es war eine sehr vielfältige Arbeit, die manchmal stressig, aber insgesamt sehr spannend und interessant war.

Moritz Lüttich vor seiner Schule in Mostar

So manche Denkanstöße

Es hat mir Spaß bereitet, den Schüler*innen etwas über meine Kultur zu vermitteln und im Gegenzug etwas über deren Kultur zu erfahren. Meiner Meinung nach war es für die Schüler*innen auch interessant zu erfahren, dass es auch Menschen in den westlichen Industriestaaten gibt, die sich für ihre Gewohnheiten interessieren.

Und hier liegt der Knackpunkt, über den ich mir oft Gedanken gemacht habe: Während die Schüler*innen sehr viel über Deutschland wussten, sei es im Sport, in der Mode oder in der deutschen Geschichte bzw. Politik, musste ich mich manchmal wegen meines dürftiges Wissens über die bosnisch/kroatische Gesellschaft schämen. Wieso wissen wir Deutschen eigentlich so wenig über die weniger marktwirtschaftlich ausgeprägten Länder? Begegnen wir diesen Ländern mit einer zu großen Arroganz, nur weil wir in einem Industriestaat leben?

Diesen Gedankengang, das reichhaltige Wissen der Schüler*innen über unser Land und die große Gastfreundschaft, die Fremden gegenüber an den Tag gelegt wird, empfinde ich als eine wichtige Erfahrung. Das Gefühl der inneren Zerrissenheit, das Gefühl eine neue Identität angenommen zu haben und sie nach 12 Monaten wieder abzulegen zu müssen, bescherten mir so manche Denkanstöße. Wer bin ich eigentlich? Was ist meine wahre Identität? Haben die 12 Monate mich wirklich so verändert? Fragen über Fragen …

An die zukünftigen Freiwilligen:

Meine Ratschläge an die neue Generation von Freiwilligen sind deshalb folgende: Das höchste Prinzip ist das Durchhalten trotz enormer Schwierigkeiten. Offenheit und Toleranz sind natürlich eine nicht wegzudenkende Voraussetzung für dieses Projekt. Nur so wird sie*er die Besonderheiten und Meinungen der Menschen vor Ort verstehen lernen und sich mit ihnen auseinandersetzen können.

Wenn diese paar Ratschläge beachtet werden und ihr euch voller Enthusiasmus in euren Freiwilligendienst stürzt, dann kann so gut wie nichts schief gehen. Freut euch, es wird das beste Jahr in eurem Leben. So war es bei mir. In Bosnien, meinem Heimatland!