„Habt ihr das mit den Milchprotesten mitbekommen?“, fragt Jaqueline in die Runde. Meine Kolleg*innen und ich haben uns wie jeden Morgen auf der Terrasse unseres Büros zum zweiten Frühstück versammelt, um die Themen des Tages zu diskutieren. Ich schlürfe meinen zuckrigen Kaffee und lausche der lebhaften Unterhaltung. Ab und zu stelle ich Nachfragen, die meine Kolleg*innen geduldig beantworten. Zugegebenermaßen verstehe ich noch nicht jedes einzelne Wort, nicht jeden Witz, nicht jede Andeutung. Aber für die Gesamtzusammenhänge reichen meine Spanisch-Kenntnisse aus, und ich lerne jeden Tag mehr – und nicht nur neue Vokabeln, sondern vor allem: über Alltagskultur, Lokalpolitik und die Welt des Radios.
Ein Sprachrohr für die indigene Landbevölkerung
Seit Mitte März bin ich hier bei CEPRA, dem „Zentrum für radiophone Produktion und Weiterbildung“. Hier bekomme ich mit, was die Menschen in der Region bewegt. CEPRA arbeitet zweigleisig – als alternative Bildungseinrichtung und als Radiostation. Alternativ bedeutet in dem Zusammenhang, dass sich die Organisation seit ihrer Gründung im Jahr 1981 für diejenigen stark macht, die zuvor kaum hörbar waren – die indigene Landbevölkerung in Bolivien. Zum einen organisiert CEPRA Workshops für Radiomacher*innen. Zum anderen sendet es über das angeschlossene Radio Nachrichtensendungen, Reportagen und Hörspiele. Die Programminhalte werden auf die Zielgruppen zugeschnitten und neben Spanisch auch in den indigenen Landessprachen Quechua, Aymara und Guaraní produziert.
CEPRA möchte damit einen Beitrag zur Demokratisierung von Kommunikation und Medien leisten. Der Medienbetrieb in Bolivien wird dominiert von politischen und wirtschaftlichen Interessen, die Bedarfe der Bürger*innen gerade in den ländlichen Regionen werden von den Medien kaum aufgegriffen. CEPRA sieht sich auch als Übersetzerin – es möchte den Menschen die politischen Entscheidungen und Gesetzesthemen näherbringen und verständlich machen.
Genau hier setzen die Journalist*innen von Radio CEPRA an. So arbeite ich derzeit gemeinsam mit drei Kolleg*innen an einem neuen Projekt mit, bei dem eine besonders benachteiligte Gruppe ins Visier genommen werden soll: Frauen. Wie kann CEPRA Sendungsformate entwickeln, welche die Menschen zu einer intensiven Auseinandersetzung mit Themen wie dem Machismo, der strukturellen Benachteiligung von Frauen in Bildung, Gesundheit und Arbeitswelt sowie stereotypen Rollenbildern anregen?