Engagement,das anhält
Nico war mit kulturweit in Uruguay und engagierte sich in einem Museum der Industrielandschaft von Fray Bentos. Darüber hinaus gewann Nico neue Perspektiven und Interessen dazu, die über den Freiwilligendienst hinaus anhalten.
Du warst mit kulturweit ein halbes Jahr in Uruguay. Was hast du dort erlebt?
In meiner Einsatzstelle, der Paisaje Industrial in Fray Bentos, konnte ich sehr schnell Anschluss finden. Das lag zum einen an unserer wunderbaren Freundesgruppe, bestehend aus einigen Student*innen der Universität, die direkt neben dem Museum liegt, und unseren Mitarbeiter*innen, und zum anderen auch an verschiedenen Sportangeboten: Ich konnte Volleyball spielen und, ein absolutes Highlight: Tango tanzen.
Insgesamt hatte ich so die Möglichkeit, viele verschiedene Lebensrealitäten kennenzulernen und über einen breiten Bekanntenkreis Einblicke in unterschiedlich privilegierte Verhältnisse zu bekommen. Dabei habe ich nicht nur viel über die Politik, Wirtschaft und Kultur Uruguays gelernt, sondern auch über mich selbst.
Sechs Monate auf der wortwörtlich anderen Seite der Welt zu leben, ist eigentlich ziemlich einfach, wenn man nur bereit ist, sich darauf einzulassen. Ich habe meine Zeit in Fray Bentos geliebt – und natürlich auch unsere Reisen mit einigen anderen Freiwilligen. Die Wasserfälle in Iguazú, die Riesenstädte Buenos Aires, Saõ Paulo und Rio de Janeiro, die Berge Patagoniens, die Marmorhöhlen in Chile, die Touristenorte Uruguays: Die Landschaft am Rio de la Plata ist unglaublich vielfältig – genau wie mein Freiwilligendienst es war.
Welche Erlebnisse waren besonders eindrucksvoll?
Eine meiner liebsten Erinnerungen an diese sechs Monate ist ein vermeintlich banaler Moment, der auch gar nicht in Fray Bentos selbst stattgefunden hat, sondern in Rio de Janeiro: Mit einer Gruppe befreundeter Südamerika-Freiwilliger haben wir dort Sylvester gefeiert und uns dafür in kleineren AirBnB-WGs zusammengetan.
In meiner Gruppe waren nur FLINTAs, und ich kam mir kurz vor wie eine Wohngruppe aus einem antikolonialen Feminismus-Magazin. Denn wir lagen und standen alle verstreut, haben über unsere Beobachtungen des Rassismus und kolonialer Kontinuitäten in unseren verschiedenen Einsatzländern geredet, gleichzeitig Empowerment-Tipps und Kleidung ausgetauscht. Außerdem habe ich mein erstes Buch auf Spanisch gelesen und irgendwo dazwischen waren wir uns alle einig, dass wir eigentlich noch nicht gehen wollten.
Diese Communities, die sich gebildet haben, sowohl unter den Freiwilligen, als auch mit Uruguayxs, bedeuten mir unglaublich viel und haben auch geprägt, wie ich politische Arbeit sehe: Wir sollten natürlich gegen vieles (und viele) sein, immerhin geschieht täglich Unsagbares und es ist extrem wichtig, dass gerade wir Jugendlichen dagegen aufstehen – aber wir sollten das gemeinsam und solidarisch tun. Miteinander gegeneinander, sozusagen.
Wie hat dich dein Freiwilligendienst beeinflusst?
Auch wenn ich mich schon vorher, meist aus einer theoretisch-materialistischen Perspektive, mit Unterdrückungs- und Ausbeutungsmechanismen auseinandergesetzt habe, ist es eine ganz andere Erfahrung, tatsächlich an einem Ort zu leben, über und von dem nur selten geschrieben wird. Mit Menschen zu sprechen und von ihnen zu lernen, die mich für ihren Geschichten, Kulturen, Sprachen und Denkweisen begeistern konnten.
Nach meinem Freiwilligendienst habe ich deshalb ein Praktikum bei der ila (Informationszentrale Lateinamerika), einem unabhängigen Lateinamerika-Magazin mit internationalistischem, antikolonialem und solidarischem Fokus, begonnen. Darauf gestoßen bin ich über meine „kulturweit“-Seminare, wo einige Hefte auslagen und ein paar Artikel in Workshops verwendet wurden. Bei der ila kann ich, neben meiner Begeisterung für Journalismus, auch mein Interesse an Lateinamerika (und speziell dem Rio de la Plata) weiter ausleben.
Ab August werde ich Politikwissenschaften und Internationales Recht studieren und dabei auch immer ein Auge auf Südamerika haben.
Aber auch mein Blick auf die Klimakämpfe, Kämpfe gegen koloniale Kontinuitäten, Berichterstattung und Aktivismus ist ein anderer geworden – internationalistischer, solidarischer und reflektierter. Deshalb freut es mich besonders, dass eine der ersten ila-Ausgaben, an denen ich mitarbeiten durfte, den Titel „Gerechte Energiewende“ trägt: Durch mein FSJ ist mir verstärkt klar geworden, wie wenig und selten südamerikanische Staaten mitgedacht werden, wenn es um Klimagerechtigkeit geht. Ein Blick ins Magazin lohnt sich auf jeden Fall!