Morgen scheintdie Sonne wieder

Nachhaltige Entwicklung, Geschlechtergleichheit, Kulturerbe: Neben seiner Arbeit bei der UNESCO-Kommission Ruanda hat Loe die erste Trommlerinnengruppe Ruandas getroffen und sie für ein New Yorker Magazin interviewt.

Sturm & Schauer: Ankommen

"Du siehst schockiert aus", stellt mein Kollege von der ruandischen Nationalkommission korrekt fest. Es ist mein erster Arbeitstag. Ich ahnte nicht, dass ich bereits so früh lernen würde, wie das Land der tausend Hügel mit seiner bedrückenden Vergangenheit umgeht.


In meinem Einführungsgespräch erfahre ich also, dass mein Vorgesetzter seine Brüder während des Genozids 1994 verlor. All meine Kolleginnen und Kollegen, so finde ich im Laufe meines Aufenthalts heraus, tragen Lasten der Vergangenheit mit sich herum. Und dennoch findet man weder Verbitterung noch Hass. "Alles, was wir haben, ist das Jetzt. Ein Leben in der Vergangenheit ist kein Leben", beteuert der Generalsekretär. Man ist bestrebt, ein neues Ruanda zu konzipieren.


Dämmerung: Vergangenheit, Präsenz, Zukunft

Das ist gelungen. Niemand unterscheidet mehr zwischen Hutu und Tutsi. Zumindest aus meiner Beobachterperspektive scheint es, als sei das Land vereint. Schließlich teilt man die gleiche Kultur, spricht die gleiche Sprache. Die strikte Rassentrennung wurde Anfang des 20. Jahrhunderts von europäischen Kolonialherren konstruiert. Darüber gibt es mittlerweile auch in Ruanda keine Zweifel mehr.


Für Deutsche ist Vergangenheitsbewältigung ebenfalls ein großes Thema. Der Unterschied: In Deutschland lebten in der Zeit nach dem Holocaust kaum Juden. Opfer und Täter liefen sich also nicht täglich über den Weg. Der andauernde Versöhnungsprozess zwischen Deutschen und Juden wird so womöglich erleichtert. In Ruanda ist das anders. Hutu und Tutsi mussten lernen, miteinander zu leben, lernen, einander zu vergeben. Diese Entwicklung persönlich vor Ort zu erleben, ist die wohl wertvollste menschliche Erfahrung meiner Zeit in Ruanda.


Sonnig bis heiter: Arbeit & Alltag

Doch auch beruflich lerne ich dazu. Schnell mache ich mich mit der Arbeit der UNESCO-Kommission Ruanda (CNRU) vertraut. Einerseits ist sie ans Bildungsministerium angedockt und verwirklicht so in erster Linie nationale Projekte. Andererseits bewegt sie sich im Feld einer internationalen Organisation, den Vereinten Nationen, und setzt dementsprechend UNESCO-Themenschwerpunkte: Bildungsgerechtigkeit, nachhaltige Entwicklung, Geschlechtergleichheit, Kulturerbe.


Ich habe das Glück in allen vier CNRU-Abteilungen – Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation – mitzuwirken. So besuche ich UNESCO-Projektschulen (Bildung), bereite Workshops für die Africa Code Week vor (Wissenschaft), organisiere einen Poetry Slam (Kultur), und schreibe Veranstaltungsberichte für die Website auf Englisch und Französisch (Kommunikation).


Aufwind: Generationen, Feminismus & Traditionen

Darüber hinaus wird mir die Möglichkeit gegeben, eigene Ideen umzusetzen. In meiner täglichen Arbeit kooperiere ich u.a. mit einem engen CNRU-Partner, der lokalen NGO "Edified Generation Rwanda" (EGR). Die letzten zwei Monate bastele ich an meinem Projekt "Together We Can", einer Schulkampagne, bei dem Stipendiatinnen und Stipendiaten von EGR Wandmalereien mit positiven Botschaften in ihren Schulen anbringen sollen. Mein Kollege gewährt mir bei der Konzipierung alle Freiheiten.
Ich kreiere also einen umfassenden Projektplan, inklusive Projektlogo, Design der Mauerbilder, Entwurf der T-Shirts und Jutebeutel, und detailliertem Budgetplan. Letztlich bin ich für den Erfolg von "Together We Can" selbst verantwortlich. Den finalen Antrag schicke ich an die Deutsche Botschaft in Kigali. Zwei Wochen später erhalten wir die Bestätigung, dass die Botschaft unser Vorhaben mit 5.500 Euro unterstützt.
Durch meine Tätigkeit bei der Kommission treffe ich außerdem auf Kiki Katese, Ruandas bekannteste Theaterdirektorin und Gründerin der ersten weiblichen Trommelgruppe "Ingoma Nshya" (Kinyarwanda für "Eine neue Trommel"). Kiki ist eine beeindruckende Persönlichkeit und ich habe das Glück, sie im Rahmen eines ausführlichen Interviews besser kennenzulernen. Am Ende sitze ich mit einer dreistündigen Sprachaufnahme da, aus der ich ein dreiseitiges Interview zusammenstückele. Es geht um Kikis Kampf um Anerkennung, Feminismus, und die Kunst des Trommelns in Ruanda. Das Interview wird vom Tom Tom Magazine, einem Musikmagazin aus New York, veröffentlicht.


Regen(-zeit): Optimismus als Notwendigkeit

Meine Zeit bei der Kommission endet mit einem großen Abschiedsessen, bei dem wir gemeinsam die vergangenen sechs Monate Revue passieren lassen. Mein Vorgesetzter imitiert meinen konsternierten Gesichtsausdruck vom ersten Arbeitstag und die Runde lacht. "Das Schöne an unserem Land ist", betont ein Kollege, "dass so viel Ungewissheit herrscht." Ob das denn immer so gut sei, erwidere ich überrascht. "Doch, doch", beharrt mein Kollege, "man weiß nie, was der morgige Tag bringt. Das Leben ist wie die Regenzeit. Heute mag es regnen. Aber morgen kann die Sonne schon wieder scheinen", erklärt er mit einem verschmitzten Grinsen.

 

  • Ein Foto von einer hügeligen grünen Landschaft und einzelnen Häusern in Ruanda.
  • Erfahrungsbericht Ruanda