Chile – 200 Jahreohne Karneval*
Sechs Monate hat Karen am DAAD-Informationszentrum in Santiago de Chile in Chile verbracht.
Während meiner sechs Monate als kulturweit-Freiwillige in Santiago de Chile konnte ich die teils verwirrenden, teils schockierenden Gegensätze und Widersprüche dieses Landes am eigenen Leib spüren: Santiago ist grau, bunt, reich, arm, konsumgeil, systemkritisch, überraschend europäisch und dann doch wieder typisch "latino". Chile ist ein gespaltenes Land. Es ist einerseits einer der wirtschaftlich stärksten Staaten Lateinamerikas, andererseits herrscht in Chile in vielen Bereichen eine extreme soziale Ungleichheit.
Im derzeitigen Bildungssystem, dessen neoliberale Grundsteine während der Militärdiktatur von General Augusto Pinochet gelegt wurden, entscheiden mehr als alles andere sozioökonomische Voraussetzungen über das Weiterkommen: Chiles Studiengebühren zählen weltweit zu den höchsten. Jährlich fallen Summen zwischen 2000 und 5000 Euro an, und dies bei einem gesetzlichen Mindestlohn von aktuell 264 Euro im Monat.
die große Bereicherung, Teil der Gesellschaft zu sein
Da es jedoch auch viele Personen gab und gibt, die von den Privatisierungswellen seit den 1980er Jahren profitiert haben, und da diese Menschen heute die wirtschaftliche und politische Elite darstellen, scheint der Wille zu Reformen gering. Mehr noch: sogar die 18-jährige Gewaltherrschaft Augusto Pinochets mit tausenden verschwundenen, gefolterten und ermordeten Menschen wird immer noch von einigen nicht als Diktatur anerkannt. Allerdings beginnt die Mauer des Schweigens nun, 40 Jahre nach dem Putsch, zu bröckeln. Prozesse gegen ehemalige Militärs, das fantastische "Museo de la Memoria" in der Hauptstadt und international beachtete regimekritische Filme wie "No" zeigen, dass eine Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels der chilenischen Geschichte stattfindet und sich allmählich eine kritischere Zivilgesellschaft herausbildet. Ich habe es als große Bereicherung empfunden, sechs Monate lang Teil dieser Gesellschaft im Auf- und Umbruch sein zu dürfen.
Einen kleinen, aber wichtigen Beitrag leisten
Durch meine tägliche Arbeit im DAAD-Informationszentrum Santiago de Chile konnte ich die Besonderheiten des chilenischen Bildungssystems hautnah kennenlernen. Viele Student*innen wohnen, anders als die meisten deutschen Studierenden, nach wie vor zu Hause, um so viel Geld wie möglich für die Zahlung der horrenden Studiengebühren zu sparen. Sagt man ihnen dann während eines Beratungsgesprächs, dass für ein Universitätsstudium in Deutschland in 95% der Fälle keine Studiengebühren gezahlt werden müssen, können viele dies kaum glauben. Manche reagieren sogar misstrauisch und fragen nach, ob die Qualität denn trotzdem gut sei. Denn leider haben sich viele Chilen*innen an diese Faustregel gewöhnt: Nur was teuer ist, ist auch gut. Die Beratung der Student*innen im Büro, per E-Mail oder auf Bildungsmessen hat mir viel Spaß gemacht, und ich hatte das Gefühl, dass die Informations- und Stipendienangebote des DAAD einen kleinen, aber wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Chancengleichheit im chilenischen Bildungssystem leisten.
Highlight meines Freiwilligendienstes
Bei der Arbeit an meinem Freiwilligenprojekt erfuhr ich, welche Chance ein solches Stipendium in vielen Fällen für chilenische Student*innen bedeutet. Mein Projekt bestand aus der Erstellung zweier Testimonial-Videos mit Ex-Stipendiat*innen des DAAD, in denen diese über ihre Erfahrungen in Deutschland berichten. Ziel des Projektes war es, Werbung für das Stipendienangebot des DAAD zu machen und Interesse für ein Studium in Deutschland zu wecken. Aus einem Rohmaterial von jeweils etwa 45 Minuten sind am Ende zwei 14-minütige Videos entstanden, die ich zur besseren Sichtbarkeit auf den für diesen Zweck von mir eingerichteten Youtube-Kanal des DAAD Chile hochgeladen habe. Die Durchführung dieses Projekts und die positive Resonanz des DAAD-Teams und der Online-Community auf die Videos waren definitiv ein Highlight meines Freiwilligendienstes.
* Im Jahre 1816 verbot der damalige chilenische Präsident Casimiro Marcó del Pont den Karneval in seinem Land. Seiner Meinung nach stellten die "dieser Tage häufig zu beobachtenden ärgerlichen Zwischenfälle, die aus dem unzüchtigen und vulgären Verhalten auf den Plätzen und Straßen herrühren" ein nicht hinzunehmendes Sicherheitsrisiko dar. Auch heute, 200 Jahre nach dem offiziellen Verbot, feiert Chile keinen Karneval.