So weit weg,trotzdem so nah

Dominik Kotzur verbrachte sechs Monate als kulturweit-Freiwilliger der Deutschen Welle Akademie in der kolumbianischen Stadt Barranquilla und verwirklichte einen Traum: den eigenen Podcast über die dortige LGBTQIA+ Gemeinschaft.

Immergrüne Mangobäume vor bunten Hausfassaden, chaotisches Autogehupe auf grauem Straßenasphalt und laute Volksmusik an jeder Straßenecke – das sind die ersten Eindrücke, mit denen Barranquilla, eine kolumbianische Hafenstadt an der Karibikküste Kolumbiens, Besucherinnen und Besucher empfängt. Dort habe ich von März bis August 2023 sechs Monate als kulturweit-Freiwilliger der DW Akademie verbracht und bei dem lokalen Community-Radiosender Vokaribe Radio gearbeitet. Barranquilla ist eine lebendige Stadt, lebendig auf die allerbeste Art und Weise. Sie lebt für den bunten Karneval im Frühling, für Salsa, Vallenato, Merengue und ist nicht zuletzt die Geburtsstadt von Shakira, die hier ganz besonders verehrt wird.

Während meiner Zeit bei Vokaribe Radio habe ich unglaublich tolle, engagierte Menschen kennenlernen dürfen. Ein normaler Arbeitstag im Radiosender sieht so aus: Es gibt diverse Sendungen, die von verschiedenen Ehrenamtlichen vorbereitet, aufgenommen oder on-air gesprochen werden. Die Themen reichen von Feminismus, Migration und Rechten der LGBTQIA+ Gemeinschaft über Wirtschaft und Wissenschaft bis hin zu Musik und Jugend – stets mit einem lokalen und politischen Fokus. Der Radiosender liegt in einer Nachbarschaft im Süden der Großstadt, die häufig von den anderen lokalen Medien vernachlässigt wird und deren Geschichten nur selten gehört werden. Vokaribe Radio gibt den Bewohnerinnen und Bewohnern des Viertels eine Bühne und die Möglichkeit für Austausch.

Die Entscheidung, einen Podcast über die LGBTQIA+ Community in Barranquilla zu produzieren, war sehr persönlich: Ich wollte in einer mir zunächst sehr fremden Stadt eine Community finden, mit der ich meine Erfahrungen als queere Person teilen kann. Mit welchen Herausforderungen sind queere Menschen hier in Barranquilla tagtäglich konfrontiert? Kann ich sie mit meinen Erfahrungen in Deutschland vergleichen? Was ist anders, was ist gleich und wie lebt es sich hier als Person der LGBTQIA+ Community? Auf diese Fragen wollte ich Antworten finden.

Die Situation von LGBTQIA+ Personen in Kolumbien  

Seit 2011 verbietet die Ley Antidiscriminación (Antidiskriminierungsgesetz, Anm. d. Red.) in Kolumbien, dass Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, Nationalität, sexuellen Orientierung oder ihres Geschlechts diskriminiert werden. Trotz dieses Gesetzes erleben LGBTQIA+ Personen jedoch nach wie vor tagtäglich Gewalt, Bedrohungen und Diskriminierung – oft sogar in mehrfacher Hinsicht und strukturell durch Polizei, Personal in gesundheitlichen Einrichtungen und anderen Institutionen. So werden beispielsweise queere venezolanische Geflüchtete in Kolumbien aufgrund ihrer Herkunft, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Geschlechtsidentität und weiterer Faktoren zugleich mehrfach diskriminiert.

Los Caminos Prohibidos – Mein Weg zum eigenen Podcast

Im engen Kontakt mit lokalen Aktivistinnen und Aktivisten der Nichtregierungsorganisation Caribe Afirmativo, die sich für die Rechte von LGBTQIA+ Personen in Kolumbien einsetzt, habe ich den fünfteiligen Podcast „Los Caminos Prohibidos” (dt. Die verbotenen Wege) veröffentlicht. Mir war von Anfang an wichtig, den Menschen im Podcast genug Raum für ihre Erfahrungen zu geben. Der Podcast soll die komplexen Strukturen der Diskriminierung sichtbar machen und die schwierige und herausfordernde Lebensrealität vieler LGBTQIA+ Personen in Kolumbien darstellen.

Das Team von Vokaribe hat mich bei der Planung und Veröffentlichung der Episoden unterstützt. Sie haben mir geholfen, Kontakte in der Stadt zu knüpfen, Gesprächspartnerinnen und -partner zu finden, meine spanischen Skripte zu überarbeiten, das Grafikdesign des Podcast zu erstellen und ich konnte mit ihnen technische Fragen in Bezug auf die Tonaufnahme und -bearbeitung klären.  

Ein Aufenthalt mit vielen persönlichen Höhepunkten

Im März nahm ich am Protestmarsch zum „Día de la Visibilidad Trans*” (Tag der Sichtbarkeit von Trans+-Personen, Anm. d. Red.) teil und konnte mit meinem kleinen Aufnahmegerät, das ich immer überall dabei hatte, inspirierende Stimmen einfangen. Viele gingen auf die Straße, um für ihre Rechte zu kämpfen, die allen Menschen zustehen, aber gegenüber Trans*-Personen im Alltag eben häufig nicht garantiert und gewährt werden.

Ein ganz besonderes Erlebnis war die feierliche Einweihung eines Wandgemäldes in einer der ältesten Nachbarschaften der Stadt, dem Barrio Abajo. Dieses Viertel ist für seine bunte Straßenkunst bekannt, die häufig den Karneval und die Kultur der Stadt abbildet. Nun wurden das allererste Mal LGBTQIA+ Personen geehrt, die sich seit Jahren für die lokale Community einsetzen. Dieses Projekt wurde in Zusammenarbeit mit verschiedenen Organisationen und Kunstschaffenden entwickelt. Ich konnte eine der bekanntesten Drag Queens Barranquillas, La Loba, live bei einer ihrer legendären Performances erleben und die großartige Stimmung einfangen, die im ganzen Viertel zu spüren war.

Ein Blick zurück – und nach vorn 

In Barranquilla journalistisch zu arbeiten, war zweifellos für mich eine Herausforderung. Die heißen Temperaturen, plötzlichen Regenschauer, fremden Gewohnheiten und Kommunikationsarten erschwerten die Arbeit mental und physisch. Ich stand mir häufig selbst im Weg, weil nicht alles immer so lief, wie ich es geplant hatte und ich musste lernen, spontaner zu sein und mich anzupassen. Nach vielen Planänderungen und emotionalen Tiefpunkten, die nunmal zu jedem Abenteuer dazugehören, habe ich es jedoch geschafft, mir ein Netzwerk aufzubauen. Wenn ich auf die Zeit vor Ort zurückblicke, bin besonders stolz darauf, meinen Podcast – auf Spanisch – veröffentlicht zu haben. Über Themen, die mich und meine Generation bewegen, über Menschen, deren Stimmen in der Gesellschaft oft nicht gehört oder erstickt werden. Ich durfte so viele inspirierende Aktivistinnen und Aktivisten kennenlernen, die mit ganz viel Herz und Engagement für ihre Rechte kämpfen, die uns allen gleichermaßen zustehen. Es war zweifellos eine herausfordernde Zeit, aber ich habe eine Community gefunden, die sich so weit weg, trotzdem so nah anfühlt.

 

*Der Bericht von Dominik Kotzur wurde im Februar 2024 auf der Website der DW Akademie veröffentlicht.

  • Ein Demonstrationszug von Menschen aus der LGBTQIA+ Community
  • Eine ältere Person am Stock steht vor einem Haus mit einer bunten Wandmalerei für die LGBTQIA+ Community
  • Das Cover des Podcasts „Los Caminos Prohibidos”
  • Zehn kulturweit-Freiwillige posieren vor einer Berglandschaft mit Palmen in Kolumbien für ein Gruppenfoto, darunter Dominik Kotzur.